Marke & digitale Medien

Interview

Marke & Digitale Medien im 21. Jahrhundert

BRANDGUARDIAN sprach mit Buchautoren und Experten aus der Wissenschaft, Prof. Dr. Stefanie Dänzler und Prof. Dr. Thomas Heun, über dezentrales Marketing, agiles Branding und die Rolle der analogen und digitalen Markenerlebnisse. 

Dr. Stefanie Dänzler unterrichtet an zahlreichen deutschen und US-amerikanischen Hochschulen. Zuvor war sie 17 Jahre lang für namhafte Unternehmen (Jung von Matt AG, McCann Erickson, Pixelpark AG und Studio Hamburg GmbH) tätig, davon die letzten sechs Jahre als Geschäftsführerin. Prof. Dr. Thomas Heun ist Professor für Marketing & Methoden an der internationalen Hochschule Rhein-Waal. Er forscht und publiziert zu den Themen Marke & Digitalisierung sowie Customer Experience Management.

Prof. Dr. Stefanie Dänzler beschreibt in ihrem aktuellen Fachbuch gemeinsam mit Prof. Dr. Thomas Heun und diversen Experten den Wandel des Markenkonzepts im 21. Jahrhundert.

Ihr schreibt, dass Konsumenten nicht zwischen analogem und digitalem Markenerlebnis trennen. Im Digitalen können Marketer quasi unmittelbar auf aktuelle Trends oder Themen reagieren. Müssen Marken dann nicht auch die analoge Markenkommunikation beschleunigen, um nicht eine Wahrnehmungslücke aufkommen zu lassen? 

Prof. Dr. S. Dänzler: Marken müssen immer stärker auf die Customer Journey eingehen und Konsumenten dort ein einheitliches Markenerlebnis vermitteln. Das Digitale muss durch passende analoge Kommunikation bereichert werden. Ein Beispiel: Ein Hersteller bringt eine innovative neue Kamera heraus und bewirbt damit ein neues, einfaches Lebensgefühl. Einfach draufhalten, den Rest macht die Kamera. Wenn die Kamera dann aber kompliziert verpackt ist und mit einer schlecht gemachten 160-Seiten-Anleitung in sechs Sprachen daherkommt, dann kommt es zu einem Bruch im Markenerlebnis. Die Wahrnehmung am POS, das Packaging, unterstützende Collaterals oder Broschüren: Das alles gehört nach wie vor zum Markenerlebnis und sollte nicht unterschätzt werden. Das analoge, physische Erlebnis am POS oder im Kontakt mit dem Produkt ist unheimlich wichtig für die Emotion. 

Prof. Dr. Th. Heun: Digital und analog müssen ineinandergreifen. Dementsprechend gibt es unterschiedliche Funktionen der digitalen und analogen Touchpoints entlang der Customer Journey. Diese aufeinander abzustimmen, ist eine der Kernaufgaben des Brand Experience Managements. „Geschwindigkeit“ bleibt dabei eher den digitalen Kontaktpunkten vorbehalten, und wenn die Aufgaben und Botschaften der unterschiedlichen Kontaktpunkte gut aufeinander abgestimmt sind und auch digital nicht wild heut das, morgen das transportiert wird, sollte auch keine Wahrnehmungslücke entstehen. 

Studien sehen einen Trend zum dezentralen Marketing. Wie wichtig ist die Unterstützung der Dezentralisierung durch Lösungen zur regional korrekten Adaption von Kommunikation für den POS, Print und Digital?

Prof. Dr. Th. Heun: Das Ideal der zentralen Steuerung hat sich mit dem Ende des Paradigmas der integrierten Kommunikation und den Möglichkeiten der Digitalisierung ein Stück weit überholt. Wenn man Marke wahrnimmt als etwas, was zwar eine Positionierung hat und für definierte Werte steht, aber auch bereit ist, den Kunden wo auch immer die bestmögliche Lösung zu bieten, ist die Dezentralisierung eine notwendige Folge dieser Entwicklung.

Prof. Dr. S. Dänzler: Logistisch kann es ein großer Vorteil sein, Markenführung zu dezentralisieren. Man wird schneller und kann vor Ort gezielter auf regionale oder individuelle Kundenbedürfnisse eingehen. Allein schon eine persönliche Begrüßung hat einen sehr positiven Effekt. Das Wichtigste ist jedoch die Messbarkeit der Maßnahmen. Nur zu dezentralisieren, weil man das Gefühl hat, es sei besser, bringt nichts. Es geht unterm Strich um agiles Branding, um kurze Projektzyklen. Marken müssen durch Try and Error Neues ausprobieren, und agile Prozesse haben, um Erfolge in der Zentrale schnell überprüfen zu können. Dieses agile System muss offen für Feedback und Innovation sein. Effiziente Mechanik und Prozesse sind mittlerweile wichtiger als Kreativität, die man top-down und einheitlich in den Markt verbreitet. Dafür sind gute Tools erforderlich, die die Prozesse steuern und auswerten. Letztendlich hat auch COVID gezeigt, wie wichtig Agilität ist. Der Wandel wird immer schnelllebiger, deshalb müssen alle Prozesse rund um die Marke und die Kommunikation agiler anpassbar sein. 

Wie weit ist der Siegeszug von Mobile, Web und Social Media vorangeschritten? Welche Rolle spielen Print und das Containerformat PDF noch in der Markenkommunikation?

Prof. Dr. S. Dänzler: Alle Medien und Kanäle haben noch ihre Berechtigung. Das macht es für Marken ja so schwierig. Es wird immer komplexer, alle Medien zu bedienen. Deshalb muss genau analysiert werden: Wer bin ich als Marke, wer ist meine Zielgruppe und wie ist die Customer Journey? Manche haben z. B. mehr Silver Ager als Zielgruppe oder bieten erklärungsbedürftige B2B-Produkte. Da sind Print bzw. ausführliche Informationen im PDF-Format wichtiger als beim einfachen Konsumgut. Aber wie erwähnt: Zum Markenerlebnis gehört nicht nur der fancy Werbeclip oder dass ein cooler Influencer das Produkt nutzt, sondern letztendlich auch das Gefühl, das Produkt auspacken und gut und einfach nutzen zu können.


Wir danken für das Gespräch!

Agile Branding

Der zentrale Gedanke von „Agile Branding“ beruht auf dem Prinzip eines Build-, Test- und Learn-Kreislaufes, der nach dem Grundsatz „handeln statt planen“ funktioniert. Im Gegensatz zum traditionellen Marketing spielen die Strategie und deren Projektpläne beim agilen Branding eine untergeordnete Rolle. Das Ziel ist es, jeden Prozess-Loop zeitlich möglichst so kurz zu halten, dass die erarbeiteten Annahmen und Ideen möglichst schnell durch die generierten Daten oder Erhebungen validiert und in der nächsten Iterationsstufe angepasst werden können.

BUILD: In dieser Phase ist das Ziel, eine minimal funktionsfähige Produkt- oder Kommunikationsidee zu erarbeiten, um den angestrebten Lernprozess so schnell wie möglich in Gang zu setzen und die Test- und Learn-Feedbackschleife zu durchlaufen.

TEST: Hierbei ist es wichtig, nicht nur das Team und dessen Ideen als Bewertung heranzuziehen, sondern immer die Frage des Nutzens der Idee in den Mittelpunkt zu stellen und diesen auf die jeweils angemessene Art und Weise zu testen.

LEARN: Es zählt nicht, ob das Projekt im Zeitplan oder im Budget liegt, sondern ob sich die Qualitätsanforderungen immer mehr verbessern. Ausschlaggebend ist, ob die Qualität des Projekts oder der Idee stimmt. Die schwierigste Entscheidung hierbei ist es, sofort eine Kurskorrektur vorzunehmen, wenn es notwendig ist, und nicht nur am Ziel festzuhalten.